Der
zürnende, leidenschaftliche, eifersüchtige Gott des Alten Testamentes wird
heute von vielen Bibelexegeten als reine Projektion betrachtet, als politisch
begründeter Ein-Gott mit psychologisch hochwirksamen Alleinstellungsmerkmalen.
Aber dieses Gottesbild ermöglichte (nicht nur seinen Missbrauch zur
Gefügigmachung der Gläubigen, sondern zuerst:) eine Gläubigkeit der
Konsequenzen und Zusammenhänge, sprich ein Sinngefüge, genauer ein Gefüge, wie
Sinn wirkt. Gut und Böse, Bemühen und Lohn, Vergehen und Strafe. Und war die
entsprechende drakonische Gerechtigkeit immer schon aufgehellt dadurch, dass
Gott auch in Zeiten der Strafe und Not Israel nicht vergaß, und dass selbst der
Holocaust – durchaus in der Lesart heute praktizierender Juden – nicht
ein millionenfach multipliziertes anonymes Leid war, sondern in millionenfacher
Jeweiligkeit von Gott mitgetragen wurde, so verheißt der Neue Bund, wie er in
Jesus von Nazareth Gestalt annahm, ganz zentral Gottes Barmherzigkeit.
Leider hat das in manchen
Köpfen eine lebensfern unlogische Gottesvorstellung hervorgebracht. ‚Eine
Vergeltung im Jenseits macht aus der Liebe um der Liebe willen sofort eine
Liebe aus Berechnung’, ‚Gott straft nicht, weil er uns mit seiner Verzeihung
immer schon voraus ist’, und so weiter. Aber auch die radikale Humanität des
Neuen Testamentes entlässt uns nicht aus den oben genannten Verwiesenheiten,
wie Sinn wirkt. Jesus hat das Liebesgebot wohl radikalisiert, aber nicht die
inneren Bedingungen der Liebe aufgehoben; denn dies kann eben kein Mensch und
kein Gott. Die ideale Gesetzlichkeit ist schon gestiftet, da wird sich Gott
nicht mehr selbst übertreffen wollen. Das ursätzliche Daseinsprinzip von
Ursache und Wirkung reicht auch in die Tatsächlichkeit der Liebe. Und Ursache
und Wirkung können nicht in Beliebigkeit übergehen ohne aufzuhören zu
existieren. Natürlich warnt Jesus oft vor der Gefahr, dass fundamentale
Zusammenhänge zu einem eifrig betriebenen Regelwerk verkommen, aber hieraus
eine Theologie der Regelenthobenheit abzuleiten ist in sich unsinnig.
Ganz grundlegend
geht es dabei um unsere Freiheit. So war die Kerndebatte der Ökumene von
Katholiken und Protestanten auch immer eine Debatte um wahre Freiheit.
Freilich, wenn es in dem aktuell amtlichen Papier hierzu, der Augsburger
Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, heißt, unsere Freiheit
gegenüber den Menschen und Dingen in der Welt sei keine Freiheit auf unser Heil
hin (Punkt 19), so liegt darin eine defizitäre Phänomenologie unserer Freiheitsaktionalität
als solcher. Lebensweltliches Verfügenkönnen wäre also die eine Seite,
gnadenbezügliches Nichtverfügenkönnen die andere. Es wird zum einen an unserem
Wollenkönnen festgehalten, zum anderen würde das aber nicht in Gottes Gnadenwirken
hineinreichen. Als neuralgischer Punkt erscheint dabei die Unterscheidung: Akt
– Werk. Die Bejahungsfähigkeit des Menschen sei zu unterscheiden von einer
Wirkfähigkeit. In den Punkten 20 und 21 wird das präzisiert: dass auch die
katholisch verstandene Zustimmungsfähigkeit nicht als Eigenwirksamkeit gelten
könne, bzw. es wird protestantischerseits
einer zugestandenen Ablehungsfähigkeit nicht das Positivum einer verdienstvollen Zustimmungsfähigkeit
gegenüber gestellt.
Hier ist die Untersuchung
der menschlichen Initiativität zwar mit ausgesprochener Akribie betrieben
worden, aber unter doktrinär verständigungspflichtigen Vorzeichen. Die eingebrachten
Begriffe werden dabei hin und her gewendet, aber sie bleiben stehenden
Charakters, und eine Phänomenologie der Entscheidungsinitiative wird eher überdeckt
als eröffnet. Was geschieht beim
initiativen Ja oder Nein? Wie wirkt
es fort in willensgestaltliche und lebensweltliche Manifestationen hinein?
Die willensgestaltlich
natürliche ‚begleitende Betrachtung’ des Wollens beim Wollen, von der
aus sich auch eine natürliche Mitkonstitution jenes Wollens ergibt, gilt es in
den Blick zu nehmen. Unsere Wesensbildung unter reflektierender Selbstgewahrung
ist das funktionelle Medium des Wollens. Sie ist zwar äußerlicher als das je
initiative Ja in den willentlichen Vollzügen, aber dieses mitkonstituierend.
Und solches Verhältnis muss, wo es um die nähere Bestimmung von Willentlichkeit
und Initiative geht, erkundet werden. Das bedeutet hier also: „Alles durch Christus!“
– ja! aber in welcher Gestaltlichkeit vollzieht sich das? Und ob das eigene
initiative Ja zu Gottes Willen verdienstvoll zu nennen ist oder nicht, bleibt
hinsichtlich des Bejahungsaktes als Vorgang erst einmal nachrangig.
Wir sind nur auf unser Heil hin frei, auch
innerhalb unseres Verhaltens gegenüber den Menschen und Dingen sind wir nur auf
unser Heil hin frei. Im Tiefsten initiieren sich alle unsere lebensweltlich und
seelengestaltlich manifestierten Entscheidungen aus Lieben-oder-nicht-Lieben
heraus, und ‚nur‘ diese Initiative geschieht frei. Sie ist der Kern unserer
lebensweltlich sich ausgestaltenden Vollzüge und deren ganzheitlichen Erlebens.
Und Freiheit in diesem ureigentlichen Sinn lässt sich weder aufspalten in
zweierlei Freiheiten - eine konkret lebensweltliche und eine tiefer
liebesbezügliche ‑, noch überhaupt von konkreten Manifestationen her definieren.
Das schließt selbsttätiges Gerechtfertigtsein durch konkrete Äußerlichkeiten
aus (wogegen Luther kämpfte) wie auch die Definierbarkeit von Freiheit über
konkretisierte Innerlichkeit (was Luthers Ansatz beförderte.) Beidem liegt eine
massierte Identifikation > Konkretisierung eines nicht identifizierbaren
(erkennbaren) Innerlichen zugrunde.
Martin Luther hat einen
unauflöslich sperrigen Denkansatz in die Welt gebracht. Konkret resultiert
seine Rechtfertigungslehre, dass nicht die guten Werke, sondern allein Gottes
Gnade einem Menschen Gerechtigkeit verliehen, wohl aus einer besonders
kräftigen Auslegung des Römerbriefes. Wie dazu in der theologischen Tradition
kunstvolle wie verkünstelte Systematiken Platz gegriffen hatten, war es dem
Reformator nun um eine beherzte Demut gegenüber dem ursprünglichen Schriftlaut
zu tun. Wenn aber Paulus schreibt, ‚ihr steht nicht unter dem Gesetz, sondern
unter der Gnade’, ist dem nicht ohne weiteres ein Schlagwortcharakter
beizumessen, die ursprünglich beabsichtigte Stoßrichtung wird so oder so weit
korrektiv angelegt gewesen sein, eine Reaktion auf das Verharren der Christen
in der mosaischen Gesetzesfrömmigkeit. Wie z. B. auch Augustinus´ berühmter
Spruch: „Liebe und tu was du willst!“ weniger eine Anrufung: „Liebe!“
darstellt, sondern mehr philosophischen Charakter hat und intellektuell
einsichtig machen will, dass Liebe unmittelbar(also etwa gerade nicht
in Bemühung eines schlagworthaften „Liebe!“) ins konkrete Wollen eingeht. Sich
auf einen Wortlaut zu verlegen, und sei er noch so ausdifferenziert, um
eingeschliffene Buchstäblichkeiten zu überwinden, trägt sofort neue
Verabsolutierungen in sich.
Im Zuge der
Reformation kam die Buchstabentreue der Pharisäer durch die Hintertür wieder
herein, wenn auch auf den Kopf gestellt. Speisegesetze usw. einhalten, um damit
auf der Sicheren Seite zu sein, erst recht natürlich der zeitgenössische
Ablasshandel, waren ein Hohn auf den grundlegenden Zusammenhang von Liebe und
Tat. Aber ein solcher Missstand lässt sich nicht beheben, indem ich diesen
Zusammenhang ostentativ Gott überlasse > aus meiner unmittelbaren
Identitätsbildung herausfallen lasse > identitätsreal so und so weit auflöse.
’Ohne Werke ist unser Glaube tot’ - gerade die evangelische Kirche hat ja
diesen Aspekt immer stark betont, als authentische Nachfolge Christi, auf dass
wir im (rechtfertigenden) Geschenk des Glaubens stehen können. Doch gemäß dem
Naturell menschlichen Wollens bildet sich mit einem konkretisierenden Abheben auf
Selbstergebnishaftigkeit (etwa: ‚meine Person als glaubende’) sogleich
Ichkonzeptionalität aus; ich verfahre dann mit meinem Ich. Unterschwellig verführt also die reformatorische
Ablösung des früheren Wenn-ich-tue-bekomme-ich durch ein Wenn-ich-tue-glaube-ich
(beides vereinfachend zugespitzt formuliert) zu einer Selbstzusprechung
des Gnadenstandes, zu einer Gnadenspiritualität außerhalb ausgeliefert ichbildnerischer Willenskonkretisierung.
Dass uns das
Heil geschenkt werden muss, wird gerade bei Betrachtung unserer Ökonomie der
Wesensbildung > des Wollens deutlich, dergestalt, dass jede
Selbstrechtfertigung mit liebesblockierender Wesensrigorosität verbunden wäre.
Das Innere des ‚Kerns’ ist eben wieder die Selbstmitteilung Gottes, über die
wir nicht verfügen können; und darin liegt ja auch die Stoßrichtung jener
ökumenischen Erklärung. Aber der Freiheitsbegriff, mit dem sie operiert, lässt
sich so nicht halten. Freiheit ~ Willentlichkeit ist überhaupt erst gegeben im
Gegenüber zu den Anrufen und Angeboten der Liebe. Und dass wir diese Liebe
nicht ausloten oder sie uns auf Lebensprogrammatik hin unterwerfen können,
unterstreicht nur, dass alle Freiheit erst in Bezug auf Gott
stattfindet.